
Deutscher Frauenrat
Das Politische reicht tief ins Private hinein
Im jüngsten Interview mit den Aktivist*innen der #unteilbar-Bewegung stellen wir den Deutschen Frauenrat vor. Dessen Verantwortliche für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Ulrike Helwerth erläutert, vor welchen Herausforderungen die Mission der rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen heute steht. Sie fordert auch mehr Mut und sagt, warum es Großereignisse wie die #unteilbar-Demo vom Oktober 2018 öfter geben sollte.
Wer seid ihr und wie lange gibt es euch schon?
Der Deutsche Frauenrat (DF), gegründet 1951, ist der Dachverband von rund 60 bundesweit aktiven Frauenorganisationen und damit die größte Frauenlobby in Deutschland.
Was konnte dank eurer Arbeit angestoßen, verändert oder verbessert werden?
Das oberste Ziel des DF ist die rechtliche und faktische Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen, wie sie in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes garantiert wird. Das ist seine Mission. Und alle gesetzlichen und gesellschaftlichen Fortschritte, die in den vergangenen fast 70 Jahren seit der Gründung des DF in Sachen Frauenrechte und Gleichberechtigung erreicht wurden, kann sich unsere Frauenlobby mit auf die Fahnen schreiben. Einige Meilensteine waren: die Berufung der ersten Ministerin in die Bundesregierung 1961, die Abschaffung der sogenannten „Hausfrauenehe“ im Jahr 1977, womit Frauen nicht mehr zur Führung des Haushalts verpflichtet sind, die Erweiterung des damaligen Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit im Jahre 1986 um eine Abteilung „Frauenpolitik“, die Erweiterung des Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes 1994 um den Satz: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“, die Aufnahme der „Vergewaltigung in der Ehe“ in das Sexualstrafrecht im Jahr 1997, das Gesetz zu Elternzeit und Elterngeld, das seit 2006 die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern soll, die Geschlechterquote für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen von 2016, und nicht zuletzt die jüngste Sexualstrafrechtsreform 2016, für die wir das Bündnis „Nein heißt Nein“ initiiert haben.
Welche Themen und Ziele stehen aktuell im Vordergrund eurer Arbeit? Was ist aktuell euer zentrales Projekt?
Vor 100 Jahren wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt. Vor 70 Jahren trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Dennoch sind wir von einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen selbst in Parlamenten und Politik noch meilenweit entfernt. Deshalb hat der DF in diesem Jubiläumsjahr 2019 die Kampagne #mehrfrauenindieparlamente gestartet. Ihr Ziel ist die geschlechterparitätische Besetzung aller Parlamente, also Bundestag, Landtage, Kreistage und Gemeinderäte. Denn in keiner dieser „Volksvertretungen“ sind Frauen auch nur annähernd ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten. Daher fordern wir eine Wahlrechtsreform, die Parität bei Listen- und Direktmandaten vorsieht. Denn wenn der politische Wille vorhanden ist, findet sich auch ein gesetzlicher Weg. Länder wie Frankreich haben das bereits vorgemacht.
Hat sich eure Arbeit in den letzten Jahren aufgrund der politischen Situation in Deutschland und Europa verändert?
Der Rechtsruck überall in Europa aber auch in den USA macht uns sehr zu schaffen. Denn die national-chauvinistischen, rechtspopulistischen und -extremistischen Bewegungen haben immer einen – mehr oder weniger offensichtlichen – frauenfeindlichen, antifeministischen Kern: Ob Abtreibungsverbote oder Verherrlichung der heteronormativen Kleinfamilie, ob rassistische Bevölkerungspolitik, Xenophobie, Angriffe auf LGBTIQ oder die Hetze gegen Gender-Studies – im Grunde geht es immer darum, die patriarchale Vorherrschaft zurückzuerobern und Frauen und „Anderen“ Gleichberechtigung und Selbstbestimmung abzusprechen.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft (sowohl politisch als auch in Bezug auf die eigene Arbeit)?
Mehr Mut und Motivation, aktiv die Demokratie und damit verbundene Freiheitsrechte zu verteidigen. Denn sie werden uns ja nicht mit einer Garantie auf Lebenszeit geschenkt. Im Gegenteil. Diese „westlichen Werte“ sind aktuell unter einem solchen Druck, wie vielleicht nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte. Wer sich zurückzieht und denkt, der rechte Spuk ginge irgendwie vorbei, hat schon verloren.
Was bedeutet „unteilbar“ für euch? Was versteht ihr unter einem solidarischen Miteinander?
Einheit in der Vielfalt. Anders ausgedrückt: Über Unterschiede hinweg respektvoll, dialogfähig und pragmatisch den kleinsten gemeinsamen Nenner finden und gemeinsam agieren.
Was können wir alle tun, um uns gegenseitig zu unterstützen und Haltung zu zeigen?
Unsere Großdemo am 13. Oktober 2018 war eine Riesenbestätigung für das, wofür #unteilbar steht – und enorm ermutigend. Solche Ereignisse brauchen wir öfter, damit wir sie mit in den Alltag nehmen können.
Wie findet man bei all den verschiedenen politischen/gesellschaftlichen Themen heutzutage den Bereich, in dem man sich engagieren kann?
Wer weiß, dass das eigene „gute Leben“ davon abhängt, wie „gut“ die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, wer spürt, dass das Private politisch ist, und dass das Politische tief ins Private hineinwirkt, die oder der findet immer einen Bereich oder eine Gruppe für ihr/sein Engagement. Wichtig sind die Motivation und das Gefühl, am richtigen Platz mit den richtigen Leuten zu sein.
Wie kann man sich euch anschließen und selbst aktiv werden?
Über eine Mitgliedschaft in einer unserer rund 60 Mitgliedsorganisationen.
Dieser Blog-Artikel ist zuerst beim Blog Resonanzboden erschienen.
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